Advent, Advent, der Gehstock brennt

Advent, Advent, der Gehstock brennt Lesezeit: ca. 2 Minuten "Advent, Advent, Luises Gehstock brennt!", diese Melodie klingt in meinem Kopf, während ich hier auf dem Dorfplatz stehe und meine Schwägerin beobachte, wie sie mit ihrem brennenden Gehstock auf den Boden eindrischt.
Es kam mir von vorn herein schon gefährlich vor, wie sie dort neben dem großen Adventskranz stand, mit dessen übergroßen Kerzen, in ihrer Hand der alte, morsche Gehstock. "Ach, du liebes Dummerchen. Das ist nicht nur ein alter Gehstock. Das ist eine Antiquität aus Paris!", war ihr Kommentar zu meiner Warnung. "Der ist jetzt schon richtig viel Wert". Ich wies sie daraufhin, dass sich die Flammen wohl nicht für den Wert des Stockes interessieren, doch sie tat meine Bemerkung mit einem Lachen ab und begann über die Herkunft des Stückes zu referieren.
Ich warf einen vorwurfsvollen Blick in Richtung meines Bruders, der diese Frau vor einigen Monaten von einer Reise nach Frankreich mitgebracht hatte. Das Schlimmste an der Sache war, dass ich ihm die Reise auch noch geschenkt hatte. Kurz davor hatte sich der Todestag seiner Ehefrau zum dritten Mal gejährt und Johann war wieder in ein tiefes Loch gefallen. Das die gute Dora im Alter von 76 Jahre verstorben war, hat er nicht überwunden. Ich wollte ihm eine Freude bereiten, doch im Nachhinein hätte ich mich wohl besser für einen Goldfisch entschieden.
Obwohl der Dorfplatz üppig mit Leuten gefüllt ist, fühlte sich niemand in der Pflicht, der mit dem brennenden Stock kämpfenden Luise zu helfen. Diese Tatsache ist wohl dem Eindruck geschuldet, den sie bei den

Leuten hinterlassen hat. Lediglich mein Bruder kämpft sich, trotz seiner gebrechlichen Verfassung, durch die Menschenmenge, um seiner Liebsten zur Hilfe zu eilen. Er hält seinen Ausgehhut in den Händen, der gefüllt ist mit Schnee. Bei Luise angekommen nimmt er ihr den brennenden Stab aus der Hand, wirft ihn auf den Boden und löscht das Feuer mit dem Schnee. In wenigen Sekunden verwandelt sich der brennende Gehstock in ein qualmendes Etwas. Alle Umherstehenden hatten den alten Mann bei seiner Tat mit großen Augen beobachtet und hielten nun den Atem an. Luise schaut einen Moment verdutzt auf die Stelle am Boden und ich rechne jeden Moment mit einem Wutausbruch, wegen des verlorenen Schatzes. Stattdessen wirft sie sich jedoch in die Arme meines Bruders und beteuert: "Du hast mir mein Leben gerettet!" "Oh mein Engel, ich könnte nie ohne dich weiterleben!", sülzt Johann zurück.
Einen kurzen Moment war ich peinlich berührt von der Szene, doch dann wurde mir klar, wie viel Wahrheit wohl in den Worten meines Bruders lag. So sehr er Dora geliebt hatte, so sehr liebt er nun wohl auch Luise. Seit sie da ist, geht es ihm tatsächlich viel besser. Ich schüttle den Kopf über mein Verhalten. Wie konnte ich etwas verabscheuen, dass meinem Bruder so sehr gut tat? Dann trete ich ein paar Schritte auf das Paar zu, lege meine Hand auf Luises Rücken und fragte: "Geht es dir gut?"
Über die Tatsache, dass sie den Stock auch einfach hätte loslassen können, sehe ich nun einmal hinweg.

Autor: weihnachtsgeschichten.net

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